Flamen im Wunderland
Mechelen besinnt sich im Jahr des Bistumsjubiläums seiner katholischen Wurzeln
Von KAY MÜLLER
Antoine Perrenot de Granvelle war von 1560 bis 1583 der erste Erzbischof von Mechelen. Ob der Franzose allerdings je einen Fuß in das Renaissance-Städtchen im heute belgischen Flandern gesetzt hat, ist fraglich. Granvelle hatte das Amt, so wie das damals nicht unüblich war, vor allem politischem Schacher zu verdanken. Nun hängt sein Bild, gemeinsam mit Porträts seiner 17 Nachfolger, in der Ausstellung „Der Himmel im Gegenlicht“ in der ehemaligen Brauerei Lamot in Mechelen.
Die Ausstellung ist das Herzstück des Kulturfestivals „Stadsvisioenen“ („Stadtvisionen“), mit dem die Stadt das 450-jährige Bestehen des Erzbistums Mecheln-Brüssel feiert. Sie zeigt fast 300 teils kostbare Stücke, die aus Kirchen und Klöstern der Diözese zusammengetragen wurden: Reliquiare, Gemälde, Marienstatuen, Messgewänder.
Die Ausstellung ist eine imposante Demonstration jener katholischen Volksfrömmigkeit, die Flandern über Jahrhunderte ihren Stempel aufgedrückt hat. Und doch ist sie keine klerikale Jubelschau: der Audio-Kommentar, der Besucher durch die Ausstellung lotst, hält eine auffällige Distanz zum Gezeigten, etwa wenn es um Themen wie Reliquienkult und Heiligenverehrung geht. Bei all dem Magischen und Mystischen, das da gezeigt werde, fühle sich mancher Besucher vermutlich „wie Alice im Wunderland, das einmal ,das unsrige‘ war“, so die Veranstalter.
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Starker Motor für Gespräche
Säuglingstaufe ist innerprotestantisch nicht unumstritten
Von KAY MÜLLER
„Die Taufe ist nicht allein schlicht Wasser, sondern sie ist das Wasser in Gottes Gebot gefaßt und mit Gottes Wort verbunden“, heißt es in Luthers Kleinem Katechismus. Die enge Bindung an das Wort, ein Wesensmerkmal der Theologie Luthers, wird hier mit Blick auf den Taufbefehl im Matthäus-Evangelium betont. Die Taufe ist dabei nach Luther kein Werk, das wir tun, sondern ein Sakrament, in dem Gott an uns handelt, „ein Schatz, im Wort gefasset und uns furgetragen und durch den Glauben empfangen“.
Taufe wirkt die Vergebung der Sünden, sie bedeutet, dass „der alten Adam in uns durch tägliche Reue und Buße soll ersäuft werden“, wie Luther es ein wenig derb formuliert hat. Südenvergebung, Geistempfang und neues Leben stehen in seiner Tauflehre ebenso im Blickpunkt wie die Eingliederung des Täuflings in die Gemeinde Christi. Und weil dazu auch Kinder gehören, hat Luther die Säuglingstaufe stets gegen Anfechtungen der Täuferbewegung verteidigt.
Das wirkt bis heute nach: während sich das Taufverständnis der evangelisch-lutherischen Christen nicht besonders stark von dem der katholischen Kirche unterscheidet, gibt es innerprotestantisch erhebliche Unterschiede. Sie kreisen vor allem um die Frage, ob man Säuglinge taufen soll. Denn vor allem bei den unmittelbar der Täuferbewegung entstammenden Mennoniten, aber auch bei Baptisten und einigen pfingstlerischen Freikirchen ist die Säuglingstaufe verpönt. Sie argumentieren, dass bei dieser „Unmündigentaufe“ wichtige Taufvoraussetzungen wie Buße, Bekehrung, Glaube und Bekenntnis nicht gegeben seien. Die Mündigentaufe sei daher vorzuziehen.
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Jupps letzte Session
Karnevalsprinz wirbt für Hospizarbeit
Von KAY MÜLLER
Jupp ist das, was sie in Aachen einen echten „Fastelovvends-Jeck“ nennen: ein Karnevalist von echtem Schrot und Korn. Schon früh am Morgen hat sich der alte Herr deshalb mit seinem Rollator auf dem Flur der Palliativstation im Aachener Klinikum in Stellung gebracht. Er will ja nichts verpassen, wenn es nachher heißt: „Der Prinz kütt“. Und dann ist es so weit: Mit lautstarkem „Oche Alaaf“ zieht Prinz Boris I., begleitet von Hofstaat und Wappenhuhn „Pollo“, auf die Station. Wo sonst die Infusoren piepen, schallt un Karnevalsmusik über die Flure. Jupp ist selig. Dicke Freudentränen kullern dem alten Herrn über die Wangen. Er weiß: dies ist seine letzte Session. Die Ärzte haben alles vorbereitet, damit Jupp noch heute nach Hause entlassen werden kann. Dort wird er, so Gott will, bald sterben.
Schunkeln mit Todkranken – darf man das? Boris Bongers, wie der Prinz der Aachener Jecken mit bürgerlichem Namen heißt, hat sich einer mutigen Mission gestellt: „Aus purer Bewunderung für die Menschen, die unheilbar Kranke auf ihrem letzten Weg begleiten“, wie der 36-jährige sagt, rührt er mitten im Aachener Karneval die Werbetrommel für die Arbeit der Hospize und palliativmedizinischen Dienste der Stadt. Und er sammelt nicht nur Spenden, sondern besucht auch Schwerstkranke zu Hause, im Hospiz oder im Krankenhaus. Der Prinz, im Zivilberuf Verkaufsleiter einer Kosmetikfirma, will zeigen, dass Karnevalisten sich auch ihrer sozialen Verantwortung bewusst sind: „Tod und Sterben, das ist in unserer Gesellschaft immer noch ein Tabu“, weiß Bongers. „Aber auch Schwerstkranke haben das Recht auf ein bisschen Freude.“
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Kaum verbreitet, aber heftig umstritten
Am Heizen mit Getreide scheiden sich die Geister
Von KAY MÜLLER
Heizen mit Getreide? Vielen Christen stockt bei dieser Vorstellung der Atem. Der Gedanke, dass die Grundlage für „unser täglich Brot“ als Brennstoff zweckentfremdet wird, erscheint ihnen angesichts der Hungersnöte in der Welt schockierend. Und dennoch: technisch ist die Nutzung von Getreide als Energieträger machbar. Ob sie aber auch ethisch vertretbar ist – daran scheiden sich die Geister.
Während die Gegner einer energetischen Nutzung den hohen Symbolwert des Getreides als Nährstoff betonen und von einer Tabuverletzung sprechen, sehen Befürworter darin die Chance, einen umweltfreundlichen – weil nachwachsenden – Energieträger zu gewinnen, Brachflächen sinnvoll zu nutzen und der Landwirtschaft eine neue Einnahmequelle zu verschaffen.
„Die Frage, ob man Getreide zur Energiegewinnung verbrennen darf, ist heftig umstritten“, weiß Dr. Markus Vogt, Professor für christliche Sozialethik an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Benediktbeuern. Es habe schon viele Veranstaltungen und kontroverse Diskussionen dazu gegeben, die gezeigt hätten, dass das Thema die Landwirte stark umtreibt, so Vogt. Denn diese stünden angesichts des Preisverfalls beim Getreide finanziell sehr unter Druck. Die Aussicht, sich mit neuen Vermarktungsmöglichkeiten ein zusätzliches Standbein zu schaffen, mag da manchem verlockend erscheinen.
„Doch es gibt auch viele Vorbehalte dagegen, weil das Getreide in unserer Gesellschaft, und vor allem für uns Christen, einen hohen Symbolwert hat“, so Vogt.
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„Tut mir auf die schöne Pforte!“
Kirchenführer Joseph Kleine macht unscheinbare Schönheit sichtbar
Von KAY MÜLLER
Ein turnhallenartiger Kasten aus schlichtem Backstein – rein äußerlich ist die Heilig-Kreuz-Kirche im westfälischen Soest nicht gerade ein Schmuckstück. Das Gotteshaus wurde in den Jahren 1966–1967 errichtet und ist damit eine jener Nachkriegskirchen, die im Ruf stehen, eher zweckmäßig als schön zu sein. Ein Klischee, gegen das Joseph Kleine ankämpft. „Auch eine moderne Kirche hat ihre eigenen Schätze zu bieten“, sagt er voller Überzeugung.
Kleine hilft, diese Schätze sichtbar zu machen. Als ehrenamtlicher Kirchenführer zeigt er Besuchern seit Jahren die Kirche, referiert über Raumkonzept und liturgische Gestaltung und diskutiert mit seinen Gästen lebhaft, wie sie selbst die Kirche wahrnehmen. Wer ihn dabei beobachtet, merkt schnell: Kleine ist mit viel Herzblut bei der Sache.
„Diese Kirche geht auf den letzten Entwurf von Rudolf Schwarz zurück“, erklärt der 69-jährige. Schwarz war nach dem Krieg einer der maßgeblichen Kirchenbauarchitekten Deutschlands. Theologisch beeinflusst durch Romano Guardini und dem Bauhaus-Stil durchaus zugetan, schuf er Gotteshäuser, die durch ihre Raumwirkung und nicht durch eine prunkvolle Ausstattung überzeugen sollen. Seine Kirchen strahlen eine beinahe protestantische Nüchternheit aus: Altarraum, Apsis, Ausstattung – alles ist möglichst schlicht gehalten. „Deshalb gibt es hier zum Beispiel auch keine Beichtstühle, sondern nur einen Beichtraum“, erkläutert Kleine. „Schwarz mochte diese ,Kleiderschränke’ nicht in seiner Kirche haben“, schmunzelt er.
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Alle Texte erschienen in: Neue Bildpost (2001-2010).